Nachdem wir Goa verlassen haben wenden wir uns wieder Richtung Norden – ehrgeiziges Ziel, wir wollen Silvester in Nepal feiern. Knapp 2.000 Kilometer zu fahren.
Zunächst überschreiten wir wieder die Landesgrenze nach Maharaschtra (Bundesland); es gibt “leichte” Kontrollen bei jedem Wechsel eines Bundeslandes in “Groß-Indien”, genauso wie es teilweise unangenehme Regeln gibt. Im Bundesland Gujarat beispielsweise darf überhaupt kein Alkohol getrunken werden, da fällt die Belohnung (Bier…sche!) abends aus, na wir haben da auch schon mal geschummelt. Gut, in Maharaschtra gilt das nicht. Da gibt`s Bier.
Über Pune (wir kennen es unter dem Namen Poona – Stichwort Bhagwan Shree Rajneesh (1931-1990), Osho – Guru of Sex, Ashram und Baghi-Disco hab sie selig), eine eher hässliche 3,7 Mio. Einwohnerstadt und Kolhapur machen wir Kilometer, um voran zu kommen – zudem auf sehr sehr löchrigen Pisten. Mit dem Toyota geht das noch, aber mit den normalen Wohnmobilen, olala!
In Pune haben wir eine der schrecklichsten Stadtdurchquerungen (ca. 2 Stden. Horror-Stau) bislang zu überstehen – soviel verrückten Verkehr hatten wir bislang noch nicht erlebt – äußerste Konzentration war angesagt! Natürliche hatte die beste Ehefrau von allen gerade jetzt auch noch ein paar grundlegende Verbesserungsvorschläge zu meinem Fahrstil vorzutragen. Cool Man! “Karl mei Drobbe”.
Dass sich da kein Mopedfahrer vor/unters Auto geworfen hat grenzt an ein Wunder. Versucht haben es definitiv einige.
Apropos Mopedfahrer. Auf dem weiteren Weg nach Aurangabad fällt an irgendeiner Landstraßenkreuzung, wo ich dringend bremsen muss (sleeping policeman!) doch direkt am hinteren linken Enden der Wohnkabine ein Mopedfahrer mit Sozius vom Moped. Ich konnte gerade im Rückspiegel noch erkennen, dass er sich in Schräglage im Schritt-Tempo an mir hinten vorbeimogeln wollte. Da ist es passiert. Was tun – muss schnell entschieden werden. Teilweise wird so nämlich seitens Indern die missliche Lage des Fremden zu finanziellen Repressalien ausgenutzt. Üblich waren bei Anderen bereits Stillhalteprämien um die € 200 for nothing! Wir halten 70 Meter weiter zufällig direkt neben einem Polizeiauto an – auch das noch. Die Mopedfahrer sind zwischenzeitlich wieder auf den Beinen, das kann ich im Rückspiegel erkennen. Ein Inder klopft plötzlich an Petras Seitenfenster. Ich steige aus. Er reklamiert, wir hätten das Moped umgefahren. Ich zeige ihm unsere hintere linke Seite, die ohne Unfallspuren ist und erkläre ihm, dass ich unschuldig bin, der Mopedfahrer ist wegen zu hoher Schräglage beim Rangieren von selbst umgefallen. Ich setze mich wieder ins Auto und fahre schnellentschlossen leicht fluchtartig sofort weiter. Petra hat Angst. Ich erkläre ihr, dass, bleiben wir weiter stehen, wir auf jeden Fall Stress bekommen, fahren wir weiter, aber auch die Chance haben, dass die Situation nicht ausgenutzt wird – Stichwort keine “Inder-Ruhigstellprämie”. Wir werden an den nächsten Straßen-Mautstellen mit Polizei nicht angehalten – alles geht gut, wir sind durch.
Puuhhh, Glück gehabt. Hätte, selbst bei Unschuld, auch anders ausgehen können.
Ach so, den “sleeping policeman” muss ich natürlich noch erklären. So werden die (hundert-)tausende von künstlichen “bösen” Bodenwellen in Indiens Straßen genannt, um den Verkehr herunter zu bremsen. Teilweise richtig hoch. Selbst mitten auf dem Highway – ohne ersichtlichen Grund – ist man vor ihnen nicht sicher – sie tauchen dann häufig unangekündigt bei 80 km/h aus dem Nichts auf – bremsen nicht möglich, und die Einrichtung hinten in der Wohnkabine geht fliegen; Küchenrolle komplett abgerollt – wieder aufrollen. Andererseits häufig auch eine gute Gelegenheit lästige Lkw`s zu überholen. Die können nämlich nur ganz langsam rüberfahren. Und abgeledert!
Am Abend des 21.12.2012 erreichen wir dann Aurangabad und besichtigen am nächsten Morgen gleich die berühmten World Heritage Sights der Höhlen von Ellora (Ellora Caves Temples).
Wau, das war schwer beeindruckend. Über 5 Jahrhunderte haben dort Buddhisten, Hindus und Jain 34 Klöster und Tempel aus dem bzw. direkt in den Fels gehauen. Monolithisch! Will heißen, das ganze Skulpturelle bzw. die Gebäude stammen aus dem selben Stück Fels. Hier zunächst der größte Tempel, der Kailasa Tempel (Cave 16). Er ist die weltgrößte monolithische Skulptur. Auf dem ersten Foto sieht man schon, wie er aus dem Fels gehauen ist. Bauzeit 150 Jahre, geschätzt 7.000 Arbeiter. Gewidmet Lord Shiva.
Wirklich alles aus einem Stück! Viele Fehler beim Meiseln, konnte man sich da nicht erlauben.
Der eigentliche Tempel von innen.
Lieblingsfoto mit Frauen aus Rajasthan in ihren bunten Outfits.
Und hier geht der Rundgang weiter zu einigen der anderen Höhlen (Caves). Wesentlich kleiner, aber zumindest teilweise doch auch sehr beeindruckend.
Cave 5, ein buddhistisches Kloster aus dem 7. Jhdt.. Die Halle ist 54 Meter mal 36 Meter groß (in den Fels gehauen) und diente als Versammlungsraum für rituelle Zwecke. Nebenräume des Klosters auf mehreren Etagen.
Cave 10, ein buddhistischer Tempel. Besonders, die aus dem Fels gearbeitete Rippendecke und der “teaching buddha” in der Mitte des Raumes – alles aus einem Stück versteht sich.
Cave 15, das Avatara Cave (mit 10 Inkarnationen Vishnus). Zweigeschossiger Tempel.
Im Grunde geht es mit dem “Gehöhle” gleich am nächsten Tag weiter, wenn wir nicht noch eine ziemlich entfernte Extra-Tour zum Lonar Krater gefahren wären.
Unterwegs ein nettes Mittagessen in der Pampa! Kein Englisch – wie überhaupt der Inder eigentlich nicht wirklich Englisch spricht – Essensbestellung mit Hand, Fuß und auf Hindi! Familienfoto inklusive.
Dann gegen Spätnachmittag der Lonar-Karter, ein riesiger Krater mit See, entstanden durch den Einschlag eines Meteoriten. Weltweit einzigartig, da das Ding 600 Meter in der Tiefe in einem Stück noch im harten Basaltfelsen steckt. Leider hatten wir nicht die Zeit vom Kraterrand runter zum Ufer des Sees zu wandern – wir mussten ja am selben Tag noch bei Tageslicht bis zu den Ajanta-Caves bei Ajanta, ebenfalls World Heritage!
Also am nächsten Tag (23.12.2012) aufstehen und schon wieder in Höhlen rumkriechen – ok laufen, so klein sind se ja nicht!
Aber auch hier sehr sehr beeindruckend – sogar noch älter als die Elora Caves.
Die buddhistischen Ajanta Caves wurden ab dem 2. Jhdt. vor bis zum 6. Jhdt. nach Christus errichtet. Der Lonely Planet versteigt sich übermütig sogar, sie als “Louvre” Indiens zu bezeichnen. Quatsch – Fakt ist aber, dass insbesondere die Frescos in den Höhlen für diese Zeit absolut herausragend sind.
Ironischerweise ist der Aufstieg der Elora Caves auch gleichzeitig der Abstieg der Ajanta Caves – das Interesse verlagerte sich mit dem Bau dieser nach Elora. Mit dem Verlassen der Ajanta Caves übernahm die Natur das Regime und alles wuchs zu – geriet in Vergessenheit. Erst 1819 stolperte eine britische Jagdgesellschaft unter der Leitung des Offiziers John Smith zufällig über die Ruinen – wiederentdeckt!
Cave 10, die älteste Höhle aus dem 2. Jhdt. vor Christus. Sie war es auch, über die die britische Jagdgesellschaft zuerst stolperte. Besonders bedeutend hier die Frescos – teilweise auch aus dem 2. Jhdt. vor Christus.
Weiter geht`s …
Cave 16
Cave 26 mit dem liegenden Buddha auf der linken Seite, der sich auf das Nirwana vorbereitet.
Nach Besichtigung der Höhlen geht es flott ins Auto. 326 km sind noch zu fahren bis Mandu einer kleinen Stadt in den Bergen – in Indien kein Pappenstiel.
In Mandu finden wir einen wirklich sehr schönen und auch weitgehend ruhigen Stellplatz zwischen einem See und einer ehemaligen Karawanserai. Bettelnde Kinder “Ruppees, Rupees …” rufend aber auch hier. Jedenfalls aber keine “glotzenden” Indermassen.
Einem der Mädchen schenke ich meine puschelige Lenkradverkleidung aus den Puschel-Zeiten Rajasthans. Sie hängt sie sich sofort als Schmuck um den Hals und ist stolz.
Mandu selbst, auf einem ca. 20 Quadratkilometer großen Hochplateau gelegen, ist gepflastert mit den besten Beispielen afghanischer Architektur (Palästen, Gräbern, Monumenten und Moscheen) in Indien. Afghanische Architektur in Indien? Hängt zusammen mit dem Einzug des Islam und der Muslime in Indien, die auch etwa Dehli zu dieser Zeit regiert haben. So gründete der Afghane Dilawar Khan hier um 1400 nach Christus sein kleines Königreich. Wir besichtigen Teile Mandus am Morgen des 24.12., bevor wir Richtung “Heiligabend-Stellplatz”, auf einem Farmgelände starten – dazu später mehr.
Palastruinen der Rewa Kund Group nahe unserem Übernachtungs-Stellplatz. Der Palast des Baz Bahadur, des letzten unabhängigen Herrschers über Mandu, um das Jahr 1509.
Karawanserai der Rewa Kund Group – mit schönem Baobab-Baum im Hintergrund. Überhaupt auch eine Besonderheit Mandus. Es gibt rund um Mandu haufenweise Baobab-Bäume, ich kenne sie bislang nur aus Afrika. Weil sie keine Blätter haben, sagt man dort in Afrika, dass Gott sie bei der Schöpfung falsch herum eingepflanzt haben soll. Is wohl was dran.
Parkplatz im Zentrum Mandus – wir besichtigen die dahinter liegende Moschee Jama Masjid, erbaut in den Jahren 1406 bis 1454.
Innenraum der Moschee und Arbeiter bei der Restaurierung.
Blick von der Moschee auf den heutigen Ortskern Mandus mit Hindu-Tempel.
Den Hindu-Tempel des Ortes besuchen wir dann natürlich auch noch – auch wenn historisch völlig irrelevant, aber sehr schön.
Auf die beiden Süßen Schnuckelchen treffen wir im Inneren des Tempels. Sie wohnen und leben dort „gemeinsam“ – offizielle Bezeichnung Tempelschüler wohl.
Irschend soon Guru!
Ganesha + …
Der Wohntrakt des Tempels. Heimat der Schnuckelchen.
Hinterausgang des Tempels und schon wider mitten im indischen Leben.
Wir verlassen wohlgelaunt Mandu und machen uns auf den Weg zu den Heiligabend-Feierlichkeiten. Nur ca. 120 km zu fahren, wir freuen uns auf einen ruhigen Nachmittag, ich will Bloggen, Petra will e-Mails schreiben, Kaffee trinken, draußen sitzen, Kuchen essen, schönen Weihnachtsfilm auf dem Notebook anschauen, so mit Doris Day, Cary Grant oder so – na eben gepflegt Weihnachten genießen. Indischen Sula-Champagner trinken … schön Essen …
Noch ein Foto mit einem der schönen Baobab-Bäume bei der Abfahrt in der Nähe von Mandu.
Unser Auto ist auch schon vorbereitet – ein Wenig Weihnachtsdekoration muss schon sein. Wir hatten es uns stimmungsvoll vorgestellt bzw. gewünscht. Entspannend nach all dem Lärm, dem Schmutz, den vielen Menschen der letzten Wochen.
Als wir allerdings nach den wenigen Kilometern vom Tage gegen 13:00 Uhr auf den angekündigten “Farmplatz” kommen, trifft uns der Schlag.
Wir hatten gedacht unsere Organisatoren hätten aus der Vergangenheit wenigstens ein Wenig gelernt. Anlässe und Möglichkeiten dazu hatte es in den letzten 6 Wochen Indien nun wirklich ausreichend gegeben. Pustekuchen, schlecht organisiert!
Wir alle aus der Gruppe hatten uns ein abgegrenztes, für Fremde nicht begehbares Terrain (Farmgelände) vorgestellt, wo wir mal ohne “neugierige indische Gaffer” in Ruhe unser Fest feiern können.
Komplette Fehlanzeige – schlimmer war es nie in Indien. Wir stehen auf dem freien Acker.
Wir sind stocksauer, das Weihnachtsfest geht voll daneben.
Wir haben auf unserem Stellplatz geschätzte etwa 1.500 Besucher im Laufe des Tages. Es sieht aus wie auf einer Automobilausstellung. Privatheit nicht möglich.
Noch am nächsten Morgen – vor Weiterreise werden wir belagert – können keine Außenklappe vom Wohnmobil aufmachen, ohne, dass direkt einer hinter uns steht und reinschauen will. Reagiert man unwirsch wird gegen das Auto geklopft, getreten … etc.
Kathrin und Manfred sind ebenfalls stocksauer, nicht auf die Inder … das Organisationskomitee!
Blicke aus der geöffneten Wohnmobiltür – neugierige Blicke in die geöffnete Wohnmobiltür … schnell wieder Tür zu machen.
Schweizerischer Weihnachtsschmuck – lustig, aber verbesserte mein Laune auch nicht!
Und wieder die Massen aus allen umliegenden Dörfern – mit ihren Fotohandys werden wir ständig fotografiert.
Selbst bis in die Abendstunden hinein, und auch später bei Dunkelheit, als wir vor dem Lagerfeuer sitzen, stehen Einheimische 1,50 Meter hinter unseren Stühlen und belagern uns. Wir haben jetzt eine gute Vorstellung, wie man sich als Tier im Zoo fühlen muss.
Der für uns völlig daneben gegangene Tag wird nicht alt – wir gehen früh zu Bett, wollen das Ganze einfach nur noch vergessen und hoffen auf ruhigere Tage in Nepal. Spätestens jetzt hat eigentlich auch der Toleranteste in der Gruppe die Schnauze voll von dieser Form des Reisen in Indien. Lasst uns Indien verlassen.